Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich mir das erste Mal einen Hund gewünscht habe. Irgendwann war es schon beinahe Routine, dass ich bei jedem Kerzen-Auspusten am Geburtstag heimlich an einen kleinen Vierbeiner gedacht habe, der mein Leben bereichern würde. 2020, mitten in der Corona-Pandemie, war es dann so weit: Ein kleiner, weißer Havaneser hielt bei mir und meiner Familie Einzug – und meine mentale Gesundheit war auf einmal auf dem Tiefpunkt. Sollte ich nicht die Welt umarmen vor Glück? Stattdessen saß ich jeden einzelnen Tag weinend in der Ecke, während dieser kleine Welpe mein ganzes Leben auf den Kopf stellte. Doch irgendwann fand ich heraus: Ich bin nicht allein mit diesem Gefühlschaos. Ich habe den sogenannten Puppy Blues.
Unsere Autorin Anika ist mit ihrem Hund Sherlock das Dream-Team schlechthin. Alle Tipps und Tricks, die Anika in ihren Artikeln gibt, sind deshalb Hunde-approved und vorher gemeinsam mit Sherlock ausprobiert worden.
Der Puppy Blues: Wenn die Welt mit Welpen auf einmal schwarz aussieht
Die Zeit, bevor ich meinen Hund Sherlock bekam, war eine der aufwühlendsten meines Lebens. So viele Fragen schwirrten in meinem Kopf umher: Werde ich ihm gerecht? Hab ich dann auch noch Zeit für mich? Bin ich an mein Zuhause gebunden und kann nie wieder ausgehen? Wird er mich überhaupt mögen? Wir hatten in unserer Familie so viele Krisengespräche, haben Pro und Kontra abgewogen und uns im Endeffekt doch für den kleinen Vierbeiner entschieden.
Und beim Abholen von Sherlock war ich auch unglaublich aufgeregt und glücklich, dass ich prompt begann, zu weinen. Doch als wir zu Hause waren, krachte über mir die Realität ein: Wir hatten jetzt die Verantwortung für ein Lebewesen, im besten Fall für bis zu 20 Jahre – und das löste in mir richtige Panik aus.
Die nächsten Tage und Wochen stand ich komplett neben mir, hinterfragte all meine Lebensentscheidungen und googelte bis spät in die Nacht hinein, was genau nicht mit mir stimmte. Auf Social Media und Co. sah man nur glückliche Menschen mit ihren frisch nach Hause gebrachten Welpen – was genau war dann mit mir nicht in Ordnung?
Und dann fand ich heraus, dass es so etwas wie den Puppy Blues, angelehnt an den sogenannten Baby Blues nach der Geburt eines Kindes, gibt. Der Puppy Blues ist „eine Reihe emotionaler Reaktionen, zu denen Überforderung, Angst, Traurigkeit und manchmal auch Bedauern über die Anschaffung eines neuen Welpen gehören. […] Es ähnelt stark der emotionalen Achterbahnfahrt frischgebackener Eltern, sagt Dr. Michael Kane, Chefarzt und Psychiater am Indiana Center of Recovery, so die Website verywellmind.de.
So erlebte ich meinen persönlichen Puppy Blues
Endlich hatte ich einen Namen für meine Traurigkeit, für meine Überforderung: der Puppy Blues. Allein der Fakt, dass ich nicht allein mit meinen Sorgen war und auch noch andere Menschen so empfanden, führte dazu, dass ich mich weniger als der schlechteste Mensch auf Erden fühlte. Ich redete viel mit meinen Eltern über die Situation, über den Fakt, dass ich mich manchmal nicht mal traute, Sherlock anzufassen, aus Angst, ihm wehzutun oder irgendwas falsch zu machen.
Zurückblickend hatte ich in diesen ersten Wochen vor allem Angst, dass ich diesem kleinen Lebewesen nicht gerecht werden konnte. Welpen sind wie Kinder – man muss ihnen alles beibringen, was ihnen im späteren Leben helfen wird, den (Hunde-)Alltag zu meistern. Und wer schon einmal einem Welpen ein Zuhause geschenkt hat, der wird wissen: Es kann ganz schön an die Substanz gehen, wenn man alle zwei Stunden heruntergehen muss, damit der kleine Hund, der noch nicht stubenrein ist, sich erleichtern kann.
Schlaf? Fehlanzeige. Ruhe? Auf keinen Fall. Privatsphäre auf der Toilette? Nope, der Welpe ist auch hier dabei. Immer wieder hörte ich, dass diese Phase vorbeigeht. Dass all diese negativen Angstgefühle es wert sein würden, wenn der Vierbeiner sich dann an einen kuschelt und einschläft. Doch wann? Wann würde es so weit sein? Wann würde ich mein „neues Leben“ akzeptieren können, welches ein kleines Tier nun komplett auf den Kopf stellte?
Mit Ruhe, Geduld und Verständnis für mich selbst: So überwand ich den Puppy Blues
Doch all die Stimmen auf Social Media und in Internetforen hatten recht: Es geht vorbei. Auch, wenn es mehrere Wochen dauert. Durch tausende Gespräche mit meiner verständnisvollen Mama arbeitete ich mich durch meine Gefühle, durch meine Ängste. Und mit jedem Tag, der Sherlock bei uns war, wuchs meine Liebe für dieses kleine Fellbündel, das so viel Freude in unseren Alltag brachte und jeden Tag Fortschritte machte. Der Moment, als er uns zum ersten Mal sein Pfötchen gab oder als er sich einfach auf unsere Füße legte und einschlief – all das erwärmt das Herz im wahrsten Sinne des Wortes und lässt die negativen Gefühle beinah wegschmelzen.
Wie ich den Puppy Blues überwand? Mit viel Geduld für mich selbst und mit viel Geduld für Sherlock. Heute könnte ich darüber lachen, wenn ich daran denke, wie absurd meine Überlegung war, ob die Entscheidung, Sherlock zu uns zu holen, eine schlechte war.
Im Gegenteil: sich einen Hund zu holen war die beste Entscheidung, die ich je in meinem Leben getroffen habe. Kein Lebewesen auf dieser Welt gibt einem so viel Liebe, ohne etwas zurückzuerwarten. Und wenn du dir unsicher bist: Überlege, wie es wäre, den Hund jetzt wieder abzugeben – der Gedanke tat mir jedes Mal so unglaublich weh und bestätigte mich darin, dass ich doch alles richtig gemacht habe.
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Wichtig ist es, dass du dir in den ersten Wochen mit deinem Welpen auch Zeit für dich gönnst. Frage Menschen in deinem Umfeld, ob sie dir helfen können, damit auch du mal eine Pause machen kannst, die vor allem jetzt für deine mentale Gesundheit so wichtig ist. Niemand profitiert davon, wenn du zusammenbrichst – vor allem nicht dein kleiner Hund.
Trotz Puppy Blues: Es ist okay zu fühlen, was immer du fühlst
Es ist okay, Angst zu haben. Es ist auch okay, die Entscheidung, sich einen Hund zu holen, zu hinterfragen. All das bedeutet nur, dass einem der kleine Vierbeiner wichtig ist und dass man alles richtig machen möchte. Doch niemand kann immer alles richtig machen. Wir sind keine Roboter – wir sind Menschen und aus Fehlern lernen wir. All das bedeutet allerdings nicht, dass wir nicht alles tun, um unseren Hunden das bestmögliche Leben zu bieten.
Dein Welpe ist nicht perfekt – und du bist es auch nicht. Doch zusammen könnt ihr lernen, eine Einheit zu werden. Lass dir Zeit, um deinen Hund kennenzulernen und sei geduldig. Der Kleine lernt gerade, wie es ist, zu leben – eben wie ein menschliches Baby. Sei deshalb nicht zu streng zu ihm – und vor allem auch nicht so streng mit dir. Du packst das.