Jede Woche küren wir bei wmn unsere weekly heroine. Dabei handelt es sich um eine Frau, die uns inspiriert und von der wir uns eine Scheibe abschneiden wollen. Diese Woche ist das für uns Düzen Tekkal. Sie hat sich in den letzten Monaten vor allem für ihr Engagement gegenüber afghanischer Frauen hervorgetan.
Düzen Tekkal kurz und knapp:
- Düzen Tekkal ist Menschenrechtsaktistin, Journalistin, Autorin und Systemkritikerin.
- Die ehemalige Hannoveranerin wohnt heute in Berlin.
- Sie ist Gründerin der Bildungsinitiative „German Dream“.
- Sie hat kurdisch-jesidische Wurzeln und daher ist ihr das Thema Integration besonders wichtig.
- Ihre Karriere begann sie als Kriegsberichterstatterin im Irak.
- Sie spricht mit hochrangigen Politiker:innen über unangenehme Themen wie Rassismus und das Patriarchat.
- Ihr Buch „German Dream“ ist auf Amazon erhältlich. (Anzeige)
Düzen Tekkal im Interview: “ Ich habe ganz viele Identitäten“
Im Interview mit wmn spricht Düzen Tekkal ganz offen über Deutschlands Zukunft, über das Patriarchat und über ihren eigenen Wertekompass. Das ganze Interview seht ihr im Video:
wmn: Das Unternehmen German Dream schreibt sich auf die Fahne „deutsche Werte“ an die Menschen heranzubringen. Was sind eigentlich deutsche Werte und warum sind sie gut?
Düzen Tekkal: Ich denke, es gibt eigentlich keine deutschen Werte, sondern universelle Werte und diese sollten für alle gelten. Da ich aus einer kurdisch-jesidischen Familie komme, war das Thema Identität für mich immer schwierig. Ich habe ganz viele Identitäten: Ich bin Europäerin, Deutsche, Kurdin, Hannoveranerin und so weiter.
Ich komme aus einer Flüchtlingsfamilie. Wir waren elf Kinder zu Hause. Bei uns wurde kein Deutsch gesprochen, wir hatten keine Bücher zu Hause. Das Thema „Bildung“ war also sehr schwierig für mich. Genau da setzt der German Dream an. Wir tragen das Wissen über die Werte nach außen und bringen sie an Schulen, Unis, Unternehmen und so weiter.
„Es geht darum zu zeigen, was in diesem Land alles bereits funktioniert.“
wmn: Warum ist es so wichtig, diese Werte zu vertreten?
Düzen Tekkal: In unserer Medienlandschaft sind vor allem schlechte Nachrichten spannend. Wir müssen es aber auch schaffen, die guten Nachrichten an die Menschen heranzubringen. Der German Dream heißt auch zu zeigen, was in diesem Land alles bereits funktioniert. Das Thema Migration ist bei uns in Deutschland immer negativ behaftet. Da geht es entweder um Terrorismus oder um Kriminalität.
Es gibt aber auch ganz viele Menschen, die Wunderbares leisten und in dieser Gesellschaft angekommen sind. Nimm alleine meine Elterngeneration: Da sind Menschen mit sehr viel Schmerz darunter und auch diese sind ein selbstverständlicher Teil der Gesellschaft.
wmn: Du kümmerst dich derzeit um die Frauenrechte in Afghanistan. Was hat dich dazu verleitet, auch hier helfen zu wollen?
Düzen Tekkal: Beim German Dream geht es nicht nur darum, Deutschland zu vertreten. Es geht vielmehr um die Menschenrechte überall auf der Welt. Du kannst Menschenrechte nicht einer Nationalität zuordnen, das ist der Grundfehler, den wir viel zu lange begangen haben.
wmn: Wie bist du zur Kriegsberichterstatterin geworden?
Mein Lifechanging-Moment war, als im Jahr 2014 der Völkermord an den Jesiden geschah. Damals fielen die IS-Schergen in jesidische Dörfer ein und läuteten den Völkermord sozusagen über Nacht ein. Im Irak wurden damals Männer enthauptet, Frauen über 40 wurden direkt ermordet und jüngere Frauen wurden verkauft und versklavt. Die Tatsache, dass ich Teil dieser Religionsgemeinschaft war, ließ mich dort hinfahren und über die Grausamkeit berichten.
Stell dir mal vor es passiert ein Völkermord und niemand bekommt es mit.
Düzen Tekkal
Stell dir mal vor es passiert ein Völkermord und niemand bekommt es mit, weil niemand darüber berichtet, weil niemand diese Menschen kennt und weil sie einfach zu weit weg sind.
„Mit dem Vorsatz, das „Patriarchat stürzen zu wollen“, würde ich im Irak nicht weit kommen.“
wmn: Wir bei wmn haben folgende Mission: Wir wollen das Patriarchat stürzen. In Deutschland sind wir schon recht weit mit dem feministischen Ansatz und Frauenrechte sind keine Neuigkeit mehr. Wir kämpfen für Gleichberechtigung auf dem Arbeitsmarkt und weniger Shaming beim Muttersein. In anderen Ländern sind wir bei Weitem noch nicht da angekommen, wo die Frauen in Deutschland angekommen sind.
Was ist deiner Meinung nach der größte Unterschied im Feminismus zwischen Ländern wie Afghanistan und dem Irak im Gegensatz zu Deutschland?
Düzen Tekkal: Ich denke, mit dem Vorsatz das „Patriarchat stürzen zu wollen“, würde ich im Irak nicht weit kommen. Alleine die Tatsache, dass wir hier sitzen können und davon sprechen, das „Patriarchat zu stürzen“ zeigt ja, dass wir hier viel weiter sind im Kampf um unsere Frauenrechte.
Ich bin in einer ganz anderen Kultur aufgewachsen und deswegen glaube ich auch, dass ich andere Kämpfe habe kämpfen müssen. Meine Mitschüler:innen sind mit mir zwar in die gleiche Schule gegangen, doch wir haben immer in komplett verschiedenen Welten gelebt.
„Sie müssen selbst mutig sein und überholte Denkweisen hinter sich lassen.“
wmn: Was sollten wir also für diese Frauen tun?
Düzen Tekkal: Die Frauen im Irak brauchen uns Deutsche nicht, um für ihre Rechte zu kämpfen. Sie müssen selbst mutig sein und überholte Denkweisen hinter sich lassen. Ich nehme mal ein Beispiel aus meiner Kindheit: Ich durfte nie in die Disco gehen oder woanders übernachten.
Meine Eltern hatten immer Angst um mich und Angst davor, was „die Anderen“ denken und sagen würden. Das ist einer der größten Unterschiede zwischen diesen Kulturen: Deutschland ist individuell geprägt und unsere Kultur ist kollektivistisch geprägt. Hier musst du in der Gemeinschaft funktionieren: Mein Fehlverhalten als Kind fiel also auf das Ansehen meiner Eltern zurück.
„Beim Feminismus geht es also um die Emanzipation aller.“
wmn: Gehen wir nochmal auf das Patriarchat ein, das die meisten Gesellschaften prägt. Nicht nur die Frauen leiden darunter, sondern auch die Männer. Was ist deiner Meinung nach das größte Problem am Patriarchat für die Männer?
Düzen Tekkal: Sie gelten als Prototypen des „Täters“ und haben eigentlich keine Chance, da herauszukommen. Ich kenne das von den Männern aus meiner Familie: Meine Brüder und Cousins hatten immer das Gefühl, über die Mädchen entscheiden zu müssen. Im Nachhinein haben sich Teile meiner Familie dafür entschuldigt, doch sie wussten es einfach nicht anders. Beim Feminismus geht es also um die Emanzipation aller. Das Patriarchat kommt nicht nur aus meiner Kultur, sondern wir finden es überall und es richtet überall Schaden an.
„Die Geschichten, die im Verborgenen bleiben sollen […], müssen wir trotzdem erzählen.“
wmn: Wie schaffen wir es, dass Themen wie Afghanistan und die Menschenrechtsverletzungen durch die Taliban im Gedächtnis der Menschen bleiben und nicht nach ein paar Tagen aus der deutschen Medienlandschaft verschwinden?
Düzen Tekkal: Wir müssen es immer wieder auf die Agenda setzen. Die Geschichten, die im Verborgenen bleiben sollen, weil Despoten sie nicht erzählt haben wollen, müssen wir trotzdem erzählen. Das Unrecht, das beschwiegen wird, wird nur noch größer. Vor allem die demonstrierenden afghanischen Frauen, die täglich mit ihrem Leben spielen, müssen weiterhin sichtbar bleiben. Unsere Aufgabe ist es, den Narrativen der Taliban ihre eigenen Menschenrechtsverletzungen entgegenzusetzen.
wmn: Nimmst du viele Hausaufgaben mit, wenn du abends nach Hause gehst?
Düzen Tekkal: Das ist eines der großen Probleme meines Jobs: Ich habe nie das Gefühl, fertig zu sein. Es wird immer sehr viele Menschen geben, denen du nicht helfen konntest. Man muss sich immer darüber bewusst werden, dass man nicht allen helfen kann. Seine eigene mentale Gesundheit darf dabei nicht auf der Strecke bleiben, denn sonst kannst du am Ende niemandem mehr helfen.
Wir durften Düzen Tekkal auch noch 10 unkonventionelle Fragen stellen:
Wir können nicht allein die Welt retten. Beim German Dream steht ein großartiges Team hinter mir, das mit Herz und Seele dabei und das zum Glück immer größer wird.
wmn: Vielen Dank für deine offenen Worte, Düzen Tekkal!
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