Pausen und Ruhe sind wichtig, auch wenn sie im Alltag oft zu kurz kommen. Doch sie sind es, die uns Kraft schenken. In der japanischen Kultur existiert dazu eine gelebte Philosophie: „Ma“. Das Konzept geht über Pausen hinaus, definiert Freiraum neu. Das steckt dahinter und so wendest du Ma selbst in deinem Leben an.
Was bedeutet Ma?
Verschnaufpausen, wenn das Leben einen mal wieder in Atem hält. Diese Situation kennen viele Menschen, jedenfalls in der westlichen Welt. Doch ein Blick nach Japan zeigt, dass es auch anders geht. Pausen sind dort nicht eine Notwenigkeit bei Bedarf, sondern ein fester Teil des Alltages, bekannt unter Ma.
Doch worum genau handelt es sich bei Ma? Im Deutschen gibt es keinen konkreten Begriff für diese Philosophie, was vielleicht auch an den unterschiedlichen Kulturen liegen mag. Übersetzen lässt sich Ma wohl am ehesten mit Zwischenraum, Intervall oder Leere im Raum. Überträgt man dieses Konzept also auf das alltägliche Leben, geht Ma über einfache Pausen hinaus, lässt sich eher als Freiraum interpretieren. Freiraum im Sinne von Ma kann zwar das gezielte Setzen von Pausen beinhalten, es meint allerdings auch den eigenen Rückzug, sowie Stille in einem Gespräch oder Minimalismus in der Raumgestaltung. Bei Ma geht es darum, klare Grenzen zu ziehen, einen Zwischenraum zu kreieren und so Verbindungen zu schaffen.
Ma als Raum für Wachstum, drei Beispiele
Was erstmal ein wenig abstrakt klingt, lässt sich mit Beispielen veranschaulichen.
1. Beispiel: Minimalismus als Ma
Ma findet sich fast überall wieder, jedenfalls in Japan. So folgt ein traditionelles Teehaus den Gesetzen von Ma. Der Gestaltungsfokus beim Teehaus liegt auf der Leere, die wiederum Raum für Erlebnisse lässt. Nur die Wände bilden die Grundlage für das Leben, das hier stattfindet. Dekorationen und anderes überflüssiges Interieur hat hier keinen Platz.
2. Beispiel: Grenzen als Verbindung
Grenzen zu ziehen, muss gar nicht negativ für Verbindungen sein. In Japan bezieht sich Ma auch auf Grenzen und damit das Schaffen von Zwischenräumen. Sie dienen als eine Art Puffer, ermöglichen, in Harmonie nebeneinander zu existieren. Damit wird der Zwischenraum nicht zur trennenden, sondern vielmehr verbindenden Leere. Ein Beispiel dafür sind Territorien in der Tierwelt. Territorialverhalten sichert eine ungestörte Nutzung unter anderem von Nahrung, Wohn-, Nist- und Futterplätzen.
3. Beispiel: Freiraum für die kreative Entfaltung
Säht man einen Samen, kann daraus eine wundervolle Pflanze entstehen – allerdings nur, wenn Raum für Wachstum gegeben ist. Dieses Beispiel lässt sich auf unsere Gedanken übertragen: Damit unsere Gedanken Früchte tragen können, muss der Raum zur Entfaltung gegeben sein. Ruhe ist die Grundlage für kreatives Wachstum und neue Ideen. Geben wir uns diesen persönlichen Freiraum, nehmen uns die Zeit, um Gedanken nachzuhängen und diese weiterzuentwickeln.
Wie wende ich Ma an?
Das gelebte Konzept „Ma“ dient als sanfte Erinnerung, sich Raum und Ruhe in der hektischen Welt zu gönnen. Es stellt keine Belohnung für getane Arbeit dar, sondern vielmehr die Grundlage dafür. Sich ausreichend Pausen zu erlauben, die Schönheit dessen auszukosten, führt zu Wachstum, der harmonischen Verbindung zu sich selbst und der Umwelt, wie auch einer achtsamen, ausgeglicheneren Existenz. Wie du die japanische Philosophie in deinem Leben etablierst? So geht’s.
1. Ma auf der Arbeit
Es nimmt einen großen Teil unseres Alltages ein und sorgt nicht selten für Stress: unser Berufsleben. Dort Ma zu praktizieren, ist eine Herausforderung. Doch sieh es mal so: Auch berufliche Gedanken brauchen Raum zur Entfaltung, also nimm dir diesen. Wie wäre es, wenn du dir immer wieder eine Erinnerung für eine kurze Pause stellst? Gönn dir dann ein paar Minuten des Nichtstuns und der Ruhe; das Smartphone ist tabu. Die Auszeiten werden deiner Produktivität am Ende des Tages eher guttun als schaden. Wenn dein Beruf kleinere Pausen nicht zulässt, nimm dir bewusst vor und nach der Arbeit stille Momente des Nichtstuns und lass deine Gedanken schweifen.
2. Raumgestaltung im Sinne von Ma
Ein Zimmer, das traditionell japanisch eingerichtet ist, fällt durch seinen minimalistischen Stil auf. Oftmals ist der Raum nur mit einem Tisch, ein paar Kissen und vielleicht einigen Pflanzen oder Bildern ausgestattet. Der Sinn dahinter? Es geht darum, Überflüssiges zu meiden, um sich vom Potenzial des negativen Raums inspirieren zu lassen, anstatt von materiellen Dingen abgelenkt zu werden. Der Raum soll für seine Funktion an sich und nicht für Besitztümer darin geschätzt werden. Also achte bei der Gestaltung deiner vier Wände darauf, ein Gleichgewicht zwischen Objekten und Leere zu schaffen. Besitztümer müssen natürlich nicht gleich entsorgt werden, aber vielleicht so verstaut, dass sie sich in die minimalistische Gestaltung einfügen. Das Wohnen in einer solche Umgebung kann das Gefühl von Ruhe und Klarheit unterstützen.
3. Ma: Timing ist alles
Hast du schon einmal eine traditionelle japanische Teezeremonie erlebt? Die Planung wird hier akribisch eingehalten und lässt dabei Raum für gezielte Pausen. Was sich daraus für unser Leben ableiten lässt? Natürlich muss im Alltag keine genau akribische Planung her, aber gern eine Planung mit integrierten Pausen. Erkenne die Bedeutung von den kleinen Auszeiten und Unterbrechungen im Tagesablauf, schätze sie und nutze sie zur Steigerung deines Wohlbefindens.
4. Ma in der Kommunikation
Ein weiteres Beispiel für Ma sind auch Pausen im Gespräch. In unserer Kultur haben wir oftmals das Bedürfnis keine Stille aufkommen zu lassen, weil wir sie als unangenehm empfinden. In Japan ist das genau andersherum, Gesprächspausen sind hier willkommen. Man braucht schließlich Zeit, um über Gesagtes wirklich nachzudenken und die Qualität des Gespräches wahrzunehmen. Schweigen gibt diese Zeit.
Ebenfalls ist das Mitteilungsbedürfnis ein anderes. Die westliche Welt ist ein Freund der klaren Worte, die japanische lässt viele Dinge lieber ungesagt. Doch auch nonverbale Kommunikation erzählt. Eine intuitive Verständigung in stillen Pausen gilt in Japan als sehr intelligent, der Fokus liegt dabei auf der Beobachtung.
Versuch dich doch mal selbst als aufmerksame:r Zuhörer:in im japanischen Stil. Anstatt Stille zu vermeiden, heiße sie willkommen; distanziere dich innerlich vom Unbehagen und beobachte stattdessen. So können oftmals tiefgründigere Gespräche entstehen und die Verbindung zu der anderen Person intensiviert werden.
5. Ma beim Essen
Jetzt mal ehrlich, wie oft verschlingst du vor Hunger in wenigen Minuten dein Essen? Wahrscheinlich im Alltag nicht all zu selten. Doch auch hier beim Essen kann Ma zum Einsatz kommen und von Bedeutung sein. Nimm dir Zeit, um deine Mahlzeit zu genießen und das Essen zu schätzen. Kurze Pausen zwischen den Gängen oder auch während der Mahlzeit unterstützen das achtsame Erlebnis und führen vielleicht dazu, dass du dich auch gedanklich mit deinem Essen auseinandersetzt.
6. In Yoga und Mediationen Ma finden
Wenn es um Freiraum, Ruhe und Entfaltung geht, kommt man an Achtsamkeitspraktiken wie Meditation oder Yoga nicht vorbei. Sie können im hektischen Alltag eine lange Pause zum Durchatmen und damit ein großes Ma sein. Den sowohl Yoga als Mediation sorgen für Momente des Innehaltens, fördern die Verbindung zu uns selbst und tragen zu einem ausgeglicheneren Lebensstil bei.
Autorin des Artikels ist Judith Püschner.