Das Jahr 2020 hat Geschichte geschrieben. Es ist eine traurige, verschrobene Geschichte, die einem an vielen Stellen einen Schauder über den Rücken laufen lässt. Und doch sind wir uns sicher, dass sie uns für immer im Gedächttnis bleiben wird.
In unserer Reihe #CoronaAlltagsheldInnen sprechen wir mit echten Menschen, die das Jahr 2020 geprägt haben und die Krise auf eine ganze besondere Art erlebt haben.
PolitikerInnen in der Krise: Was macht Corona mit ihnen?
Noch nie schienen uns die Politik und die politischen AkteurInnen so nah wie in diesem Jahr. Noch nie wurde so viel Mist berichtet; wurden PolitikerInnen so viel kritisiert. Nie zuvor gab es ein politisches Thema, das alle Länder gleichzeitig betrifft und so schnell ganzheitliche Entscheidungen fordert.
Wir haben uns mit jemandem unterhalten, der die deutsche Politik im nächsten Jahr mitprägen wird. Eine Frau, die nicht nur wegen der Coronapandemie ins Auge der Öffentlichkeit gelangte und sich nun ihren Weg an die Spitze der deutschen Politik bahnt.
Ellen Demuth im Interview: Die deutsche Politik in der Coronapandemie
Ellen Demuth ist rheinland-pfälzische Landtagsabgeordnete und Chefstrategin des Wahlkampfes von Norbert Roettgen (CDU). Sie versucht nicht nur ihren Kandidaten nach vorne zu bringen und damit Angela Merkel im Jahr 2021 ablösen zu können. Sie macht sich insbesondere für Frauen in der Politik und für Vielfalt in der Wirtschaft stark.
Im Interview erklärt sie wmn, was sie dazu geführt hat, wie ihr Arbeitsalltag aussieht und was sie aus der Coronapandemie gelernt hat.
wmn: Wie sieht Dein Arbeitsalltag aus? Erkläre ihn gerne in ein paar Sätzen, damit unsere LeserInnen sich darunter etwas vorstellen können.
Ellen: Als Politikerin ist bei mir keine Woche wie die andere. Richtig planen kann ich eigentlich nie, weil ich immer damit rechnen muss, dass ein unvorhergesehenes Thema dazwischenkommt.
Aktuell sind meine Tage besonders intensiv. Mich erreichen Anliegen von Menschen und Unternehmen aus meinem Wahlkreis, die unter den Corona-Einschränkungen leiden und nicht mehr weiterwissen.
Aber auch ganz alltägliche Anliegen, wie zum Beispiel von Eltern einer Grundschulklasse, denen zum Halbjahr die Klassenlehrerin fehlt.
Daneben organisiere ich meinen Landtagswahlkampf. Denn ich kandidiere im März erneut für den rheinland-pfälzischen Landtag. Im Januar beginnt die heiße Wahlkampfphase. Und dann ist da noch Norbert Röttgen, den ich in seiner Kandidatur für den Vorsitz der CDU unterstütze. Langeweile kommt gerade nicht auf.
wmn: Du bist seit dem 03. Dezember Chefstrategin der Wahlkampagne von Norbert Röttgen, arbeitest aber eigentlich im Landtag von Rheinland-Pfalz. Mitten in der Corona-Pandemie hat sich Deine Karriere also noch einmal um 180° gedreht.
Welche Schwierigkeiten hast Du aufgrund der Pandemie in Deinem Arbeitsalltag erfahren? Was war die letzten Monate Deine größte Herausforderung?
Ellen: Stimmt, seit Anfang Dezember ist meine Unterstützung für Norbert Röttgen offiziell und durch meine Präsenz in den letzten Wochen in Berlin auch noch intensiver. Meine Arbeit als Landtagsabgeordnete läuft parallel dazu weiter. Im Landtag haben wir kürzlich den Haushalt für das nächste Jahr beraten, was für mich viel Arbeit bedeutete.
Beide Arbeitsfelder unter einen Hut zu bringen, ist eine Herausforderung. Die Corona-bedingte Umstellung auf digitale Ausschusssitzungen und Videokonferenzen hat mir dabei aber geholfen. Wenn alle Termine in Präsenzform stattgefunden hätten, wäre es schlicht unmöglich gewesen.
– Ellen Demuth
Die Corona-bedingte Umstellung auf digitale Ausschusssitzungen und Videokonferenzen hat mir dabei aber geholfen. Wenn alle Termine in Präsenzform stattgefunden hätten, wäre es schlicht unmöglich gewesen.
wmn: Wofür stehst Du in der CDU?
Ellen: In Rheinland-Pfalz spreche ich für meine Fraktion zu allen Themen, die den Zusammenhalt und die Vielfalt unserer Gesellschaft betreffen. Dabei stehe ich für eine engagierte Frauenpolitik und eine klare Kante gegen gruppenbezogenen Hass und Ausgrenzung.
wmn: Wie fühlt es sich an, als Frau für eine noch immer männerdominierte Partei (ca. 27% Frauen) zu arbeiten? Welche Vorteile siehst Du für Frauen, die einen Weg in die Politik einschlagen.
Ellen: Ich bin seit knapp 20 Jahren Mitglied der CDU. Seitdem hat sich der Frauenanteil nicht verändert. Ich bin es also seit Jahren gewohnt, mit hauptsächlich männlichen Kollegen zu arbeiten. Männer und Frauen sind durch bestimmte Rollenbilder und Erfahrungen der Kindheit oft unterschiedlich sozialisiert.
Damit meine ich: Konflikte, Arbeitsprozesse und auch Wettbewerbe werden auf unterschiedliche Art ausgetragen. In einer männlich geprägten Arbeitswelt (das ist nicht nur in der Politik so) wird nach informellen männlichen Regeln gespielt. Umso wichtiger ist es, mehr Frauen zu begeistern, mitzumachen.
Unsere Bevölkerung besteht zur Hälfte aus Frauen. Wir sind im Jahr 2021. Es ist an der Zeit, Frauen und Männern gleichlaute Stimmen in der Politik zu geben.
Kennst Du schon unsere Kolumnistin Jeannine? In einer sehr männerdominierten Branche hat sie täglich mit Sexismus und Vorurteilen zutun. In ihrem Beitrag „Sexismus im Arbeitsplatz – Wir gaffen zurück!“ packt sie ein paar haarsträubende Stories aus.
wmn: Was genau bedeutet es, dass die CDU modern werden will? Viele sehen die langjährige Amtszeit von Angela Merkel bereits als ausreichend an, Frauen in die Politik zu bringen. Wie stehst Du dazu?
Ellen: Als CDU wollen wir Politik für alle Gruppen unserer Gesellschaft machen. Jung und Alt. Frauen und Männer, Menschen auf dem Land und in der Stadt. Das gelingt uns am besten, wenn die Struktur unserer Partei ein Spiegelbild der Gesellschaft ist. Aktuell beträgt jedoch das Durchschnittsalter in der CDU 61 Jahre und 73,5 % unserer Mitglieder sind männlich.
Das heißt, wir müssen jünger und weiblicher werden. Mit Angela Merkel haben wir eine sehr erfolgreiche Frau an der Spitze unseres Landes, die vorbildlich zeigt, dass Frauen alles schaffen können. Sie ist jedoch eine Ausnahme. Bis Frauen und Männer gleichauf in Leitungspositionen vertreten sind, ist es noch ein weiter Weg.
wmn: In den sozialen Medien stehst Du unter anderem gegen Gewalt gegen Frauen ein. Warum ist Dir das ein besonderes Anliegen?
Ellen: Gewalt gegen Frauen findet häufig im häuslichen Umfeld statt. Sie bleibt oft im Verborgenen und die Dunkelziffer ist hoch. Betroffene Frauen und ihre Kinder haben oft keine Stimme und nur wenige FürsprecherInnen.
Dieses Thema treibt mich seit Jahren um. Die Frauenhäuser in Deutschland sind überlastet. Regelmäßig suchen Frauen in größter Not vergeblich nach einem Platz. Wie können wir diesen Zustand in unserer Wohlstandsgesellschaft dulden?
Bei den Haushaltsberatungen in Rheinland-Pfalz habe ich eine Verdopplung der finanziellen Mittel gefordert. Derzeit hängt die Finanzierung der Häuser zum Teil von Spenden ab. Ich finde, das darf nicht sein. Es ist unsere Pflicht, ausreichend Schutzräume für betroffene Frauen zu schaffen.
Darüber hinaus muss Hass und Hetze gegen Frauen konsequent geahndet und verfolgt werden – auch im Internet.
wmn: Wenn Corona nicht wäre, wärest Du dann da, wo Du jetzt bist?
Ellen: Das ist schwierig zu sagen. Die Wahl des CDU-Vorsitzenden wäre wahrscheinlich schon entschieden. Als Abgeordnete wären meine Arbeitsschwerpunkte wahrscheinlich etwas anders verlaufen. Gedanklich ist mir durch das zurückliegende Jahr auf jeden Fall noch einmal stärker bewusst geworden, wie wichtig es ist, als Gemeinschaft für einander einzustehen.
Denn nur zusammen, jeder an seinem Platz, schaffen wir es aus dieser Krise. Das bedeutet für mich, dass wir diejenigen, die für unsere Gemeinschaft unermüdlich im Einsatz sind, wie auch diejenigen, die aktuell beruflich und finanziell zurückstecken müssen, stärker wertschätzen.
wmn: Die Coronamaßnahmen werden derzeit an vielen Stellen der Gesellschaft kritisiert. Teils zu recht. Teils haltlos.
Wo wurden Deiner Meinung nach die größten Fehler in der Politik seit der Krise gemacht? Und die andere Seite: Welche Entscheidungen waren genau richtig?
Ellen: Es gab für diese weltweite Krise keine Musterlösung oder Blaupause. Ich unterstelle allen Akteuren, dass sie bei jeder Entscheidung nach bestem Wissen und mit größter Umsicht gehandelt haben.
Wenn auf Anhieb immer alles perfekt laufen muss, sind Fehler doch ganz normal. Ich finde, diese müssen wir uns auch gegenseitig zugestehen. Es wäre sinnvoll, mal über eine neue Fehlerkultur zu diskutieren.
Es wäre sinnvoll, mal über eine neue Fehlerkultur zu diskutieren.
wmn: Was meinst du genau mit einer neuen Fehlerkultur?
Ellen: Im Gegensatz zu den USA fällt es uns in Deutschland total schwer, konstruktiv mit unseren Fehlern umzugehen. Jemand, dem ein Fehler unterläuft, ist um eine Erfahrung reicher und nicht direkt komplett für immer gescheitert. Wenn man etwas Neues ausprobiert, muss man doch damit rechnen, dass nicht alles auf Anhieb gelingt.
In der Startup-Szene spricht man von „Learnings“. Dieser Begriff gefällt mir. Meiner Meinung nach ist er viel sinnvoller. Unsere Gesellschaft braucht einen Sinneswandel. Wir müssen gesellschaftlich anerkennen und akzeptieren, dass wir alle Fehler machen. Insbesondere bei neuen Herausforderungen.
Bereits während der Schulzeit schämen sich Kinder für schlechte Ergebnisse und verlieren sich in negativen Gedankenspiralen. Dieses Denken müssen wir auflösen. Um aus Misserfolgen zu lernen, sollten wir ihnen mit konstruktiven Formate und Diskursen begegnen.
In den USA gibt es sogenannte „Fuck up Partys, auf denen Teams offen über gegenseitige Erkenntnisse und Fehler sprechen und sie als Bereicherung und Chance für den Lernprozess aller verstehen. Denn ein konstruktiver Umgang verbessert das Arbeitsklima, erhöht die Motivation und führt ziemlich sicher beim nächsten Versuch zum Erfolg.
wmn: Was hat Dich das letzte Jahr über Dein eigenes Krisenmanagement und das Deiner Partei gelehrt?
Ich glaube wichtig ist es, in einem solchen Ausnahmezustand Ruhe zu bewahren. Eine Eigenschaft, die unsere Bundeskanzlerin auszeichnet. Die Politik hat versucht, unserem Land einen Rahmen zu geben, der uns durch die Pandemie bringt. Wenn wir uns Deutschland im weltweiten Vergleich anschauen, finde ich dieses Vorhaben durchaus gelungen.
Persönlich sehe ich es ähnlich. Ruhig bleiben, eine Prioritätenliste machen, Informationen sammeln und dann eine Entscheidung nach der anderen treffen und abarbeiten. Wichtig ist, ein Ziel zu definieren und dieses nie aus den Augen zu verlieren.
Noch mehr #Corona-HeldInnen?
Wie LehrerInnen die Coronakrise erleben, haben wir bereits mit einem Lehrer aus Sachsen besprochen. Sein aufschlussreiches und teilweise erschreckendes Interview findest du hier.
Wie sehr die Krise der Kunst- und Kulturszene geschadet hat, ist noch nicht absehbar. Fest steht jedoch, dass Künstler noch sehr lange Zeit davon zehren werden. Wir haben mit dem Moderator und Bühnenpoeten Bernard Hoffmeister gesprochen, der für uns die Krise einschätzt.